GoldSeiten Blogs
« Verteilungskämpfe ziehen aufVerschnaufpause »

Zersetzung

von Jan Kneist E-Mail 11.08.10 13:13:46

Sicherlich ist der Titel des heutigen Kommentars wieder provokativ, wie Sie es von mir gewöhnt sind. Im letzten Kommentar schrieb ich, daß gemäß volkswirtschaftlicher Fakten eine Erholung da ist, dennoch ist es eine komische Erholung und viele spüren intuitiv, daß es nicht normal ist und kein neuer, breiter Aufschwung eingeläutet wurde.

Diese Phase ist vermutlich besser als Zwischenerholung im Absturz zu bezeichnen, im Drama als „retardierendes Moment“ bekannt. Es gaukelt den Leuten etwas, der Realität vollständig Widersprechendes vor und will sie so zu falschen Schlüssen verleiten. Ein kleiner Hoffnungskeim, während sich das ganze Wirtschaftssystem zersetzt. Besonders gravierend zu beobachten in den USA und der europäischen Peripherie. Der Witz ist zudem noch, daß dieser Verfall sogar weitgehend erkannt und diskutiert wird und man ihn dennoch nicht aufhalten kann, als wohnte dem ganzen ein evolutionärer Prozeß inne, der nach etwas Neuem verlangt.

In den USA, der Heimstatt der Megablasen, gingen im Juli 131.000 „Jobs“ verloren, die Arbeitslosenrate verharrte offiziell bei 9,5%. Man fragt sich, warum die Rate nicht steigt, aber hier kommt wieder die Trickkiste zur Anwendung. Es werden monatlich 200.000 Arbeitsplätze gebraucht, um die Rate auch nur konstant zu halten, denn die Bevölkerung der USA wächst (noch). Man zieht einfach eine Menge desillusionierter Personen ab, die die Suche aufgegeben haben, rechnet noch „geschätzte“ Jobs dazu und schon bleibt man unter 10%. Addiert man die unterbeschäftigten Personen und diese „Aufgeber“ zu den 9,5%, dann ist man schon bei 16,6%, gemäß John Williams’ alternativer Berechnung bei fast 22%. Passend dazu kletterte die Anzahl der Leute in den USA, die Lebensmittelkarten beziehen, auf 40,8 Millionen Personen, neuer Rekord. Außerdem geistert die Finanzknappheit vieler Bundesstaaten und anderer öffentlicher Körperschaften in den USA durch die Gazetten und man fragt sich ernsthaft, ob Washington bewußt revolutionäre Zustände heraufbeschwören will. Öffentlich Bedienstete (Lehrer, Polizisten, Feuerwehrmänner etc.) werden aus Geldknappheit entlassen. Während sich Washington also ziert, seinen Bundesstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Geld zukommen zu lassen, hat man bisher nichts von Kürzungen im Verteidigungshaushalt gehört. Wie pervers ist dieses Land? Falls Sie es neulich für einen Witz hielten, nein, es ist keiner, auch Sie dürfen jetzt einen Obolus entrichten, wenn Sie in die USA einreisen wollen – 14 Dollar. Bisher kennt man diese Machenschaften nur von mittelamerikanischen Bananenrepubliken, wenn man wieder ausreisen will. Aber was unterscheidet die USA noch von einer diktatorisch regierten Bananenrepublik?

Einen Ausweg aus dem Desaster in den USA gibt es NICHT MEHR. Die Amerikaner haben über viele Jahre ihren Konsum zum Teil aus Krediten bestritten, da die Realeinkommen nicht stiegen. Jetzt zahlen sie erstmals zurück und schrumpfen so die Geldmenge bei gleichzeitig explodierenden öffentlichen Defiziten. Vorübergehend heraus kommen sie nur mit einer neuen „Assetblase“. Vermögen besitzen sie in meist minderwertigen, überteuerten Immobilien und Aktien. Das PPT (Beispiel Freitag) tut sein Bestes, um die Aktien nicht einbrechen zu lassen, denn wenn auch die noch richtig einbrächen, wäre „game over“. Bei den Immobilien haben sie aufgegeben, zu rettende Ersparnisse sind nicht vorhanden, die Prioritäten also klar gesetzt. Eine Goldblase wird sicherlich noch nicht bewußt geschürt, denn Gold ist kein normales Asset, sondern neben Silber das einzige wahre Geld und damit Feind des Papiergeldes.

Am wahrscheinlichsten ist der Versuch einer breiten Inflationierung über alle Realgüter hinweg, was man am besten mit externen Effekten begründet. Man löst damit das Problem natürlich nicht, verschiebt es und vernichtet den Geldwert. Die US-Wirtschaft ist nicht zu sanieren, sie muß grundlegend neu aufgebaut werden. Wenn bei 0% Zins das Wirtschaftsgeschehen kaum in Gang kommt, wie dann?!

Wann die Inflation anspringt, steht noch in den Sternen. Es bedarf wohl einiger weiterer großer Stimuluspakete. Dann sollten alle Realgüter steigen, natürlich auch wieder die Immobilienpreise, Rohstoffe, Aktien, Agrargüter! Bei einigen Nahrungsmitteln sind die Preise durch ungünstige Witterung schon deutlich angezogen, besonders bei Weizen. Die Rekordhitze in Rußland beeinträchtigt die Ernte und ließ den Preis auf den höchsten Stand seit 2 Jahren anziehen. Zudem verhängte Rußland ein Exportverbot. Damit könnte jetzt eine Kettenreaktion bei Grundnahrungsmitteln losgetreten werden. Ähnliches gilt für Öl, wo es durch mögliche Aktionen gegen den Iran zu deutlichen Preiserhöhungen kommen wird. Wir werden derzeit Zeugen der anrollenden Propaganda gegen den Iran und diese Propaganda dient immer der Vorbereitung.Wie uns die Geschichte der amerikanischen Kriege lehrt, wird mit dreistesten Lügen operiert und die öffentliche Meinung manipuliert. Da die Systempresse hier (wieder) versagen wird (!), ist es erneut an der schreibenden Zunft im Internet, möglichst viele Leute zu erreichen.

Um abschließend nochmals auf die Überschrift zu kommen – die Degeneration der USA ist unaufhaltbar, egal, was Sie Anderslautendes hören mögen. Ein weltweites, auf Kreditausweitung basierendes Wirtschaftsmodell erodiert vor unseren Augen, weltweit. Auch Deutschlands Exporte werden davon bald wieder betroffen sein, Chinas ebenso. Dann kommt es für alle wieder „überraschend“. Das Drama wird also seinen Fortgang nehmen, so wie es sich die alten Griechen erdachten. Zeit, sich weiter darauf einzustellen.

Erschienen im Rohstoff-Spiegel vom 07.08.2010

10 Kommentare

Kommentar from: Kai [Besucher] E-Mail
Herr Kneist,

wie gewohnt guter Artikel.
In Sachen zukünftiger Entwicklung warnte gerade
erst gestern der FED-Chef von San Fransisco vor einer erneut einsetzenden Rezession in den USA.

Das das Geld für Rettungsmassnahmen nicht mehr da ist, ein weiteres Absenken des Zinsssatzes auch nicht mehr möglich ist, dürfte es bald ernst werden.

Dann bleibt nur noch ein massiver bewaffneter Konflikt, um die Menschen einzuschüchtern und Ihnen drastische Massnahmen verkaufen zu können.

In Sachen Iran haben Putin und China bereits angedeutet, dass einem militärischen Konflikt hier nicht tatenlos zugesehen wird und hunderte Millionen von Muslimen werden sicherlich auch nicht vor Freude in die Hände klatschen.......

Es dürfte richtig, richtig übel werden
(wirtschaftlich und militärisch)

Ja, ungute Zeiten voraus... JK
11.08.10 @ 13:38
Kommentar from: Franz Raberger [Besucher]
Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen,
außer:"lest wieder mehr die griechischen
Philosophen und Dramatiker!"
Gruß, F.R.
11.08.10 @ 13:38
Kommentar from: Jürgen Kremser [Besucher] · http://www.gruenguertel.kremser.info
Auch ich habe das Gefühl einer eigenartigen unbestimmten Leere. Dies zeigt sich meiner Meinung nach sinnfällig auch an den geringen Zinsen für meine Altersersparnisse, die einfach nicht ansteigen. Während ich vor zwei Jahren bei der Frankfurter Sparkasse noch 2,75 % Zinsen für Tagesgeld erhalten habe (dort „Flexibles Sparen“ genannt), liegt es jetzt bei 0,4% inkl. Quellensteuer! Auch bei der Taunussparkasse und der Nassauischen Sparkasse ist das Tagesgeld nur geringfügig höher. Also ist irgendetwas seit mehr als einem Jahr nicht in Ordnung, so daß man von einem außerordentlichen Ausnahmezustand sprechen kann, der sich auch nicht mehr ändern soll.

Die Zinsen sind eine Risikoprämie für Konsumverzicht und zum Verfügungstellen von Geld. Im öffentlichen Bewußtsein wird noch gar nicht thematisiert, inwiefern die EZB moralisch berechtigt ist, in Konkurrenz zu den Sparern die Banken mittels Wertpapierpensionsgeschäften, sogar Ramschanleihen, mit neuem Geld zu versorgen.
11.08.10 @ 16:38
Kommentar from: spekulatius [Besucher]
Wieviel papiergeld verträgt das system denn
noch ,um richtig los zu inflationieren?
11.08.10 @ 18:07
Kommentar from: Gnom von Zürich [Besucher]
Auch bei -1% Zinsen werden immer noch nicht alle Geldvermögen in die Realwirtschaft fließen.

Das Rennen um den surrealen Geldgott nimmt weltweit seinen Lauf.

Sparen von irrealen unsubstantiierten "Guthaben" über Generationen stört die Wirtschaft in seinen Wurzeln.

11.08.10 @ 18:47
Kommentar from: onkeljoe [Besucher]
Hallo Herr Kneist,
so sehr ich viele Amerikaner kenne und schätze aufgrund von zahlreichen Besuchen in den USA und auch aus Deutschland, was sicherlich die wenigsten USA Kritiker sagen können, so sehr muss ich leider den Fakten Rechnung zollen. Aber ganz so pessimistisch sollte man gegenüber der Zukunft nicht sein. Wer die Amerikaner etwas näher kennt, weiß um ihren Optimismus und ihr Selbstvertrauen. Und sollten die USA wirklich in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, so gibt es für uns keinen Grund zur Häme, ganz im Gegenteil. Schließlich hängt auch unsere Zukunft davon ab, wie unser Außenhandel unsere Lebensform absichert. Bislang trennt uns von der "chinesischen Zukunft" oder "islamischen Zukunft" immer noch eine gemeinsame Vorstellung von den Menschenrechten mit den USA, ganz gleich, was für Fehler in der aktuellen Politik in dieser Hinsicht gemacht werden.
Übel stößt natürlich auf, dass viele Dinge geheim sind und bleiben, z. B. weiß niemand, was eigentlich noch in Fort Knox an Goldreserven vorhanden ist. Sogar die Wünsche des Senats werden in dieser Hinsicht ignoriert. Normalerweise müsste jetzt eigentlich der Dollar schwächer werden, aber vermutlich brauchen die Marktteilnehmer auf der anderen Seite des großen Teiches ihr billig geliehenes Geld zurück, nachdem die ersten kalte Füße bekommen haben und der Dollarkurs deshalb unter Druck geraten ist. So geht es immer wieder, wenn die Carry-Geschäfte mit den höheren Zinsen in anderer Währung unrentabel werden. Aber so war es immer schon gewesen, wenn es den Amerikanern schlechter ging, holten sie alles auswärtige Geld wieder nach Hause, z.B. nach 1929, mit den entsprechenden Folgen. Heute warten alle auf den nächsten großen Crash, ganz besonders - so scheint mir - die Leser der Goldseiten. Bis jetzt sieht es jedoch "nur" nach einem normalen Kursrückgang an der NYSE aus. Vergessen wir nicht, das viele umlaufende Geld wird Anlageziele suchen. Je mehr die FED in Umlauf bringt, um so mehr werden Wert-haltige Assets im Wert steigen. Warten wir es ab.
Herzliche Grüße

Ich betrachte das nicht als pessimistische Sicht, sondern als nüchterne Analyse der Fakten. Die Amerikaner haben eine andere Denke, wie Sie richtig sagen. Kurzfristig entwicklet sich daraus viel mehr Dynamik und genau das wurde dem etwas behäbigen "deutschen Modell" immer vorgehalten. Unser Modell ist viel ausgleichender und langfristiger und daher meilenweit überlegen. Wir warten nicht auf den Crash, keiner kann ein Interesse daran haben, im Crash "durchkommen" zu müssen. Aber es ist leider darauf ausgelegt, daß er kommen muß. Amerika muß lernen, wie jedes andere Land auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. Wenn sie dazu nicht bereit sind, werden sie untergehen.

Gruß zurück

JK
11.08.10 @ 23:27
Kommentar from: MHP [Besucher]

@onkeljoe
Zitat: "Je mehr die FED in Umlauf bringt, um so mehr werden Wert-haltige Assets im Wert steigen."

Diese Betrachtungsweise ist absolut falsch!!!!
Wenn man für 3 Eier mit einer Schubkarre voll Geld ankommen muss, dann ist nicht der Wert der Eier gestiegen sondern das Papier(geld) wertloser geworden.
Ich verstehe nicht, dass dieser Zusammenhang immer wieder ignoriert wird. Oder nicht erkannt.
12.08.10 @ 16:32
Kommentar from: MaCa [Besucher]
onkeljoe, auch ich kenne USA ziemlich gut und habe einige ehrliche, langjaehrige Freunde dort (ein Ehepaar franz. Ursprungs ist gerade im Mai im Alter von 80+ nach Frankreich zurueckgekehrt, weil ihnen das Vertrauen in ihr geliebtes Land voellig abhanden kam in den paar letzten Jahren!). Das von Ihnen beschriebene Selbstbewusstsein bezweifle ich heute sehr, denn das ist nicht, was ich von den erwaehnten Freunden und Bekannten wahrnehme.... Und dann frage ich Sie, wie wohl die ca. 40 Mio Leute, die ohne Lebensmittelmarken nicht mehr auskommen (wohlgemerkt in FRIEDENSZEITEN!!!) Optimismus verbreiten koennen? Optimismus sollte m.E. nicht verwechselt werden mit Schoenrederei und ignorieren von Fakten, so wie wir uns dies leider von den Anglosachsen gewohnt sind. Immer nur schoen laecheln and everything will be ok.... Keineswegs warten wir auf einen Crash - wie kann man sowas auch nur antoenen! Demgegenueber moechten wir versuchen, unser hart verdientes Geld vor dem naechsten Tsunami in Sicherheit zu bringen, und haben keine Lust, dies erneut (wohlgemerkt weil nicht zum ersten Mal!) teilweise durch Luegner und Gauner (siehe GS) vernichten zu lassen. Vermutlich werden Sie dies nachvollziehen koennen. Beste Gruesse
12.08.10 @ 16:57
Kommentar from: der-rote-Andy [Besucher]
Hallo MaCa, danke für den Kommentar.
Dem bleibt nicht mehr viel hinzuzufügen.
Wenn der optimistische "Ur-Amerikaner" sehen will, wie es ihm bei seinem prallen "Optimismus" ergehen wird, dann möge er mal in die Indianer-Reservate gehen, z.B. zu den Hopis (die sich schon teilweise verkrochen haben) oder in die "Tule-River-Indian-Reservation". Da liegt seine Destination offen auf der Hand: Alk+Asi....
13.08.10 @ 10:18
Kommentar from: kaka [Besucher]
Hast ja recht, aber viele glauben dennoch, Gold etc steigt im Wert. Im Endeffekt bleibt es (zumindest lfr. gleich viel Wert). Aber der "Wert" des $, € (und selbst CAN-$ und CHF-F.) sinkt.
13.08.10 @ 12:55

Hinterlasse einen Kommentar


Your email address will not be revealed on this site.

Deine URL wird angezeigt.
(Zeilenumbrüche werden zu <br />)
(Name, email & website)
(Allow users to contact you through a message form (your email will not be revealed.)