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Bitterstoffe: unterschätze Verdauungshelfer

von Hans Jörg Müllenmeister11.04.15 18:54:09

Vitamine und Mineralien sind im Tagesgespräch. Bitterstoffe und Co fristen ein Aschenputteldarsein, denn sie haben keinen Nährwert. Deshalb blieben sie lange in der Ernährungslehre unbeachtet. Etwas besser ergeht es inzwischen den Sekundären Pflanzenstoffen, den Flavonoiden.

Bitter- Ballast- und Schleimstoffe bilden jeweils eigene Wirkstoffklassen. Chemisch sehr unterschiedlich strukturiert, ist ihnen eins gemein: Sie fördern die Verdauung, schützen die Darmwände, verstärken die Produktion von Speichel und Magensaft, regen Bauchspeicheldrüse, Leber und Gallenblase an. Die wertvollsten Beiträge zur Verdauung liefern Pflanzen mit all ihren Bitterkräutern und Gemüsen.

Ballaststoffe ‒ sind sie überflüssig wie ein Kropf?

Neben den Nährstoffen nehmen sich „überflüssige“ wertlose Ballaststoffe kläglich aus. Was sollen diese unverdaulichen Überflusslinge, die den menschlichen Darm ungenutzt passieren? Gut für den stabilen Pflanzen- und Fruchtaufbau, aber machen die faserartigen Gebilde auch im Darm einen Sinn? Was bewirken wasserlösliche Ballaststoffe in unserem Körper? Gewiss, sie binden z.B. die Gallensäure. Diese besteht u.a. aus 80% Cholesterin ‒ und dann geht’s ab in Richtung Ausgang. Dadurch sinkt der Cholesterinspiegel, weil davon weniger in den Blutkreislauf gerät. Sie helfen damit, Herzinfarkt und Arterienverkalkung vorzubeugen. Übrigens schützen sie auch vor Gallensteinen, die dann entstehen, wenn Gallenflüssigkeit mit Cholesterin übersättigt ist.

Außerdem moderieren Ballaststoffe den Blutzuckerverlauf und normalisieren so den Zuckerstoffwechsel. Als unverdauliche Stoffe verdünnen sie den Energiegehalt unserer Kost. Lösliche Ballaststoffe wirken als natürliche Quellstoffe, die Wasser binden und für ein langes Sättigungsgefühl sorgen. Sie binden Gifte und andere schädliche Substanzen, die mit der Nahrung in den Darm gelangen und fördern so deren Ausscheidung. Sie sind auch Nährboden für eine Reihe guter Darmbakterien und helfen damit zu einer gesunden Darmflora. Ballaststoffe können bis zum Hundertfachen ihres Eigengewichtes an Wasser aufnehmen.

Die unlöslichen dieser nützlichen Füllstoffe sorgen für ein zügiges, regelmäßiges und pünktliches Entleeren. Sie regen die Darmperistaltik an. Inzwischen schreibt man den Füllstoffen eine schützende Wirkung zu, und zwar gegen Blinddarmentzündung, Darmkrebs, Hämorrhoiden und Divertikel-Krankheiten. Divertrikel sind Ausstülpungen der Darmschleimhaut.

Gute Ballaststoff-Lieferanten sind Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen und Linsen. Eine regelrechte Ballast-Bombe ist die Schwarzwurzel, die etwa 18% an „Ballast“ enthält. Es ist vor allem bei separater Aufnahme von Ballaststoffen wie Flohsamen oder Weizenkleie sehr wichtig, ausreichend Flüssigkeit zu trinken. Der Verdauungsbrei im Darm würde sonst durch den Wassermangel verhärten und eine Verstopfung eher begünstigen statt ihr entgegenzuwirken. Tierische Lebensmittel wie Fleisch und Fisch liefern so gut wie keine Ballast- oder Faserstoffe.

Bitterstoffe aus der Pflanzenwelt

Eine Weisheit im Mittelalter hieß: „Der Tod sitzt im Darm“. Weniger martialisch bedeutet das: die Gesundheit beginnt mit einer guten Verdauung. Nur eine intakte Verdauung ist die Basis eines gesunden Lebens. Was Hippokrates an bitteren Kräutern vorbeugend und heilend gegen vielerlei Beschwerden empfahl, empfindet die heutige Wissenschaft als Neuland.

Die Substanz Amarogentin in der Wurzel des gelben Enzians ist der bitterste bekannte Naturstoff überhaupt. Amarogentin ist noch 58 Millionen-fach verdünnt deutlich wahrnehmbar. Auch das Tausendgüldenkraut mit seinen Secoiridoid-Glykosiden hat sehr hohe Bitterwerte. Erst seit neulich weiß man, dass der in der Arnikapflanze enthaltene Bitterstoff Helenalin positiv auf das Herz wirkt; zudem beeinflusst er günstig Haut- und Schleimhautreizungen.

Das gesunde „Unkraut“ Löwenzahn entsäuert, liefert Vitamin C und hebt die Stimmung.
Besonders gut entsäuern die Löwenzahn-Pfahlwurzeln. In ihnen stecken viele Bitterstoffe wie Taranteln, Inulin und Cholin. Löwenzahn speichert vor allem viel Kalium, das neben Magnesium und Calcium unentbehrlich ist für einen geregelten Herzschlag. Und das Schafgarbenkraut kann durch die anregenden Effekte seiner Bitterstoffe im Verein mit seinen ätherischen Öle krampfartige Unterleibsbeschwerden lindern.

Bitterstoffhaltige Kräuter und Gemüse wirken als natürliche Fettverbrenner. Der Bitterstoff Vulgarin steckt im Beifuß und der Hopfen enthält Humulon und Lupulon. In der Wegwarte kommt Lactucopikrin vor, in Artischocken ist Cynarin zuhause, im Eisbergsalat Lactucin und in der Grapefruit Naringin.

Bitterstoffe finden sich vor allem in Heilpflanzen wie Engelwurz, Löwenzahn, Gänseblümchen, Schaftgabe, Tausendgüldenkraut, Olivenblatt und Enzian.
Dass sich die Psyche durch Bitterstoffe verbessert, dürfte für viele Menschen eine faustdicke Überraschung sein: Bitterstoffe sind Mutmacher. Sie eignen sich aufgrund ihrer kräftigenden Eigenschaften für Menschen, die ihre Spannkraft verloren haben, lethargisch und antriebslos geworden sind, also für Menschen mit „Null-Bock-Stimmung“.

Über den eingeengten Geschmack

Wir verfügen über Geschmacksknospen, die unseren Gaumen und Zungenrücken bevölkern – mehr als jedes Tier. Vergessen Sie den so genannten regionalen Zungenatlas, wonach z.B. Süßes an der Spitze und Salziges und Saures den Zungenränder zugedacht sind. Tatsache ist: Überall dort, wo Geschmacksknospen sitzen, sind auch sämtliche Geschmacksrichtungen erfassbar.
Der bittere Geschmacksanteil ist noch ein Relikt aus der Steinzeit. Ja, es ist der Warner vor giftigen Pflanzen, die meist bitter schmecken. Die entsprechenden Sinneszellen für bitter besiedeln den hinteren Bereich der Zunge. Je länger wir leben, um so „geschmackloser“ werden wir. Im Kindesalter haben wir noch gut 9000 Geschmacksknospen; im Greisenalter verfügen wir nur noch über rund 4000 dieser Rezeptoren. Die „Geschmacksblindheit“ kann auch durch falsche Ernährung entstehen. Die Geschmacksknospen für „bitter“ sind 10.000-mal empfindlicher als jene für „süß“; so kann man die meist bitteren giftigen Substanzen besonders gut wahrnehmen.

Die Lebensmittelindustrie: Räuber des Bitteren

Ursprünglich umfasste die Ernährung des Menschen eine Vielzahl bitterstoffhaltiger Wurzelgemüse, Blattgemüse und Wildpflanzen. Die Nahrungsmittelindustrie verstand es, unsere ureigensten Geschmacksrichtungen auf süß, sauer, salzig zu begrenzen, und auf „Lockstoffe“ zu prägen. Man verbannte die bittere Komponente aus der Nahrung. In der Tat sind wir zunehmend übersäuert, als die Folge von zu wenig Bitterstoffen in unserer Ernährung. Heute mögen wir oft nur noch süsse, salzige, saure oder scharfe Speisen und ‒ dank des üppigen Einsatzes von Geschmacksverstärkern in Fertiggerichten ‒ auch ganz besonders Nahrungsmittel mit der Geschmacksnote fleischig, herzhaft, wohlschmeckend, auf japanisch „umami“.

Alles was bitter schmeckt, stößt auf „ablehnende“ Zungen. Eilfertig bemühte sich die Lebensmittelindustrie erfolgreich, die Bitterstoffe aus unserer Ernährung zu entfernen: Deswegen trieb man bitterstoffhaltige Gemüsesorten durch Züchtung ihre Bitternis aus. Das ist der Grund, warum Endiviensalat, Radicchio oder Chicoree, die früher deutlich bitter schmeckten, heute kaum noch Bitterstoffe enthalten. Unsere wichtigen Schutz- und Heilstoffe wurden also gekappt.

Das Geheimnis der Bitterstoffe

Der Darm mit seinen empfindlichen Schleimhäuten macht 80% unseres Immunsystems aus. Ist der Verdauungstrakt überlastet und gerät die Darmflora aus dem Gleichgewicht, drohen Beschwerden wie Darmentzündungen, Durchfall und Reizdarmsyndrom oder gar schwere Darmleiden wie Zöliakie, Morbus Crohn und Darmkrebs. Bitterstoffe regen die gesamte Verdauungstätigkeit spürbar an. Die Magen-Darmbewegungen werden gesteigert, die Magenentleerung wird beschleunigt. Bitterstoffe beleben die Ausschüttung von Gallen- und Pankreassaft, und sie verbessern die Verdauung von Eiweißen, Kohlenhydraten und Fetten.

Atmosphärenforscher sind nicht angesprochen, aber notorische Trompeter von Säckingen aufgepasst: Verdauungsfördernde Bitterstoffe vermindern Meteorismus (übermässige Darmwinde) und hemmen Gärungs- und Fäulnisprozesse im Darm! Mehr noch: durch eine bessere Resorption von Vitamin B12 aus dem Verdauungstrakt unterstützen Bitterstoffe sogar die Blutbildung. Sie fördern außerdem die Resorption wertvoller fettlöslicher Vitamine A, D, E und K sowie von Eisen.

Bitterstoffe: Basenbildner und Entschlacker im Körper

Die Übersäuerung (Azidose) ist eine verbreitete Stoffwechselstörung, eine typische Zivilisationskrankheit. Sie hat Optionen auf viele Beschwerden, wie Rheuma, Gicht, Müdigkeit, Nervosität, Abwehrschwäche, mangelhafte Durchblutung, Neurodermitis und Allergien.
Bitterstoffe sorgen dafür, dass der Säureüberschuss im Gewebe des Körpers abgebaut und ausgeschieden werden kann. Dass bittere Kräuter basisch sind, machen sie um so wertvoller. Sie stellen das Säure-Basen-Gleichgewicht wieder her. Vorteilhaft ersetzen Bitterstoffe zweifelhafte Säureblocker (Antazida), die auftretende Symptome nur verdecken, indes aber die Ursache nicht bekämpfen. Bitterstoffe packen dagegen das Übel an der Wurzel. Da sie den Körper zur verstärkten Produktion eigener Verdauungssäfte anregen, verhelfen sie zu einer gesunden und vollständigen Verdauung.

Außerdem wirken Bitterstoffe als ausgezeichnete Entschlackungsmittel. Sie fördern auf sanfte Weise das Ausscheiden von Giftstoffen, aber auch von Schlacken und Verschleimungen. Bei Fastenkuren über mehre Wochen werden sämtliche Verdauungsorgane durch die bitteren Wirkstoffe gereinigt und regeneriert. Sie arbeiten wie „Schleimhaut-Expander der Verdauungsorgane: Zuerst ziehen sie sich zusammen und dehnen sich dann wieder aus. Gifte, Stoffwechselschlacken, Viren und Bakterien sowie Pilze können so leichter abtransportiert und ausgeschieden werden. Nur eine gesunde Verdauung absorbiert Nähr- und Vitalstoffe perfekt. Jede einzelne Zelle wird optimal versorgt. Das steigert das Wohlgefühl des Körpers.

Bitterstoffe stoppen Heißhungerattacken auf Süsses

Bitterstoffe können Ihnen aus einer bestehenden Zuckersucht verhelfen. Essen Sie statt Zuckerwerke mal Bitterstoffe, dann verliert sich der Zuckerhunger. Da Bitterstoffe für gewöhnlich nicht annähernd so viele Kalorien wie Süssigkeiten enthalten, helfen sie beim Abnehmen. Der schwer zu überwindende Heißhunger auf Süßes wird gebremst. Das nutzen manche Nahrungsergänzungsmittel, die das Abnehmen erleichtern sollen. Die Arbeit der Bauchspeicheldrüse und damit die vermehrte Produktion von Insulin wird ebenfalls stimuliert. Die volle Wirkung entfalten Bitterstoffe, wenn man sie vor den Mahlzeiten einnimmt.

Schleimstoffe: Schutzgeister der Darminnenwand

Schleimstoffe sind verschiedenartige Mehrfachzucker. Sie binden das bis zum Achtfachen ihres Volumens an Wasser im Dickdarm; damit bilden sie schleimartige Kolloide und Gelée als Schutzsubstanzen. Die vergrößerte Masse reizt entsprechende Rezeptoren in der Darminnenwand. Die sorgen für eine bessere Darmbewegung. Öle im Leinsamen tragen z.B. dazu bei, dass sich der Darminhalt besser durch den Darm bewegt. Damit wirkt das pflanzliche Abführmittel Leinsamen ähnlich wie Flohsamenschalen.

Wasserlösliche Schleimstoffe haben lokal erweichende, reizmildernde und einhüllende Wirkung auf die Schleimhäute; diese übernehmen eine wichtige Schutzfunktion gegen eindringende Krankheitserreger.

Wasserunlösliche Schleimstoffe agieren vor allem im Magen-Darm-Trakt; sie steigern das Darmvolumen. Sie sind entzündungshemmend, Blutzucker- und Cholesterin-senkend; haben eine entgiftende Wirkung und stärken das Immunsystem. Unlösliche Schleimstoffe wie etwa in Leinsamen, werden auf Grund ihrer abführenden Wirkung hauptsächlich bei Magen-Darmbeschwerden eingesetzt.

Vor allem Kräuter enthalten Schleimstoffe, etwa Beinwell mit Symphytum officinale, Eibisch mit Althaea officinalis und Spitzwegerich mit Plantago lanceolata. Die Schleimstoffe Tussilago farfara in Huflattich wirken reizlindernd, entzündungshemmend und abschwellend auf die Schleimhäute in Mund und Rachen. Der gesamte Wirkstoffkomplex des Huflattich aus Schleimstoffen, Gerb- und Bitterstoffen fördert das Abhusten insbesondere bei trockenem Husten.

Konzentriert als Gewürzkräuterbitter mit den Bitterstoffen aus z.B. Wermut, Enzian, Schafgarbe und Löwenzahn oder als Schwedenbitter können Sie Bitter-Mixe im Internet bestellen.

Ein unbekanntes, großartiges Alleskönner-Gemüse

Das Malvengewächs Okra, bei uns auch Gemüse-Eibisch genannt, aber wenig bekannt, stammt ursprünglich aus dem äthiopischen Hochland. Bereits vor 3000 Jahren kultivierten die Ägypter dieses wohl älteste aller Gemüse an den Ufern des Nils. Nicht nur als Gemüse, sondern auch als Heilpflanze sind die Okra-Schoten (Ladyfinger) inzwischen in USA als „Antikrebsgemüse“ hochgeschätzt.

Die Krönung der Schlankmacher-Okraschoten: Sie enthalten je 100 g nicht einmal 19 kcal und nur 0,2 g Fett. Ihr Reichtum an Antioxidantien, Flavonoiden, Vitaminen, Spurenelementen, Chlorophyll (Krebsprävention!) wird ergänzt durch einen hohen Anteil an Ballaststoffen und Schleimstoffen. Mit etwa 5 Gramm auf 100 Gramm davon binden sie im Darm Cholesterin, Giftstoffe, Fette und Mikroorganismen. Mit dem Ausleiten dieser schädlichen Stoffe regulieren die Ballaststoffe unsere Verdauung, normalisieren unser Sättigungsgefühl, wirken dem Übergewicht entgegen, schützen aktiv vor Infektionen und beugen dem Darmkrebs vor. Das in Okra enthaltene Vitamin A stärkt darüber hinaus die Schleimhäute der Verdauungsorgane.

Zu guter Letzt mein Tipp: Kaufen Sie probehalber frische Okra-Schoten im Asiashop oder im orientalischen Lebensmittelladen und probieren Sie's einfach. Fragen Sie dazu nicht Ihren..., sondern Ihre Stoffwechsel-Intelligenz: Ihr zweites Gehirn, denn Ihr Bauch, weiß mehr!

© Hans-Jörg Müllenmeister