Diese Blogüberschrift mit „?“ am Ende ist noch ein Provisorium. Derzeit hoffe ich noch, dass nach dem 10.7. (mündliche ESM-Verhandlung in Karlsruhe) bzw. nach den im Sommer zu erwartenden enorm wichtigen Entscheidungen des BVerfG zu den eingereichten Eilanträgen auf Einstweilige Anordnung der Blog mit dieser Überschrift wieder gelöscht werden kann. Alternativ wird das „?“ gelöscht und die Reste des deutschen Rechtsstaats werden beerdigt.
[Nachtrag 12. September 2012 nach dem erneuten „Ja, Aber“ durch KA: das „?“ ist hiermit gelöscht.]

Einstweilen bitte ich aber die Leser sozusagen zur „Einstimmung“ auf die so bedeutenden Klärungen in Karlsruhe, die beiden gleichnamigen Vorgänger-Artikel nochmals zu lesen - jeweils mit Chef-Protagonisten Andreas Voßkuhle, dem Vorsitzenden des BVerfG:

Nicht im Namen des Volkes“ [zum Lissabon-Urteil vom 30.6.2009]

Nicht im Namen des Volkes (II) [zum EFSF-Urteil vom 7.9.2011]

Im heutigen Artikel spielt aber noch ein weiterer Verfassungsrichter eine Rolle: Prof. Peter Huber, der u.a. die wichtige Rolle des „Berichterstatters“ in den anstehenden ESM-/ Fiskalpakt-Entscheidungen des BVerfG innehat.

Zu diesem neben Voßkuhle selbst wohl wichtigsten Richter des Senats lesen Sie bitte folgenden Artikel von IK-News (Jens Blecker): Befangenheit im Bundesverfassungsgericht?

=> Jener Prof. Huber ist bzw. war bis vor Kurzem (angeblich Rücktritt im Mai oder Juni 2012) Kuratoriumsmitglied beim Verein „Mehr Demokratie e.V.“ - also bei einem der Klage-Initiatoren. 88| Er war dabei (leider) nicht affiliiert mit den brillanten und juristisch sowie inhaltlich gegen den ESM gerichteten und extrem gut begründeten Klagen von (1) Gauweiler, (2)Schachtschneider/Hankel/Noelling/ Starbatty/Bandulet oder (3) Volker Reusing / Sarah Hassel-Reusing; sondern ausgerechnet mit der nach meiner (anhaltenden) Einschätzung dubiosen Klage, welche via „Volksentscheid, sonst klagen wir!” / "Mehr Demokratie e.V." / Däubler-Gmelin lediglich den Prozess des Zustandekommens des ESM-Vertrags kritisiert – dabei aber sehr viele glasklare Rechtswidrigkeiten im Vertrag selbst unerwähnt lässt und sich erklärtermaßen nicht gegen Inhalte des ESM-Bank-Vertrags richtet! Für diese fehlende inhaltliche Distanzierung wurde Vereins-Vorstand Roman Huber bei der Anti-ESM-Demo in München natürlich sogar ausgebuht.

=> Zudem werden in der Klageschrift von Däubler-Gmelin dem Gericht sehr explizit und m.E. unbotmäßig „Urteils-Vorgaben“ unterbreitet, die klar auf eine Unterlaufung bzw. auf eine Kastration des angeblich geforderten Referendums hinauslaufen!

=> Auszug aus dieser Klageschrift:

„Rechtsfolgen 146 GG: Wenn wesentliche Integrationsschritte nicht mehr von den Befugnissen des verfassungsändernden Gesetzgebers getragen werden, dann hat der pouvoir constituant des deutschen Volkes im Wege einer neuen Verfassung darüber zu befinden. Dies bedeutet [aber] nicht etwa zwingend eine vollständige Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung. [...] Vielmehr würde eine die hier in Frage stehenden Integrationsschritte rechtfertigende Verfassung auch dann gegeben, wenn das Grundgesetz um Bestimmungen ergänzt wird, die zum Eintritt in eine bundesstaatsähnliche Fiskalunion ermächtigen. :!: Der Hohe Senat wird ersucht, die dahingehende Verpflichtung der gesetzgebenden Körperschaften auszusprechen. >:XX Nur auf diesem Weg [also per kastriertem Referendum, Anm. PB] kann demokratische Legitimation für die mit ESM, Fiskalvertrag und des Art. 136 Abs. 3 AEUV einhergehenden Integrationsschritte, für den Systemwechsel in der Wirtschafts- und Währungsunion und die Aufgabe staatlicher Souveränität in einem, wenn nicht dem zentralen Politikfeld der Union vermittelt werden.“

=> Diese eindeutig mit der Fiskal- und Haftungsunion und implizit sogar mit dem ESM sympathisierende Formulierung erklärt die auffällige mediale Aufmerksamkeit, die die Klage von „Volksentscheid, sonst klagen wir!” / "Mehr Demokratie e.V." / Däubler-Gmelin seit Wochen in den Massenmedien genießt. Dies ganz im Gegensatz zu den juristisch überragend begründeten und zugleich vom Volk wirklich mehrheitlich gestützten Forderungen der drei anderen Klageschriften (Gauweiler, Schachtschneider, Reusing), welche medial bislang praktisch totgeschwiegen wurden! Sogar in der Pressemeldung des BVerfG wurde jüngst lediglich „Mehr Demokratie e.V.“ namentlich genannt. Hier wird schon im Vorfeld der Entscheidung des BVerfG der Fokus auf eine im besten Fall „ablenkende“ und im schlimmsten Fall aus Sicht des Volkes kontraproduktive Klage gerichtet. Man muss für den 10.7. große Befürchtungen haben, dass sich die beiden Hubers Prof. Peter Huber (bis-vor-sehr-kurzem-Kuratoriumsmitglied von „Mehr Demokratie e.V.) und Roman Huber (Vereins-Vorstand) vor Gericht scheinbar relevante Bälle zuwerfen werden – und dabei juristisch und medial die anderen und viel relevanteren und volksnäheren Klagen gegen den ESM-Putsch zu wenig Gehör finden werden!

Man muss sogar befürchten, dass am Ende ausgerechnet die abwegige und niemals von einer demokratischen Mehrheit getragene Hauptforderung von Däubler-Gmelin nach einer „Verfassungsermächtigung für eine bundesstaatliche Fiskalunion“ vom Gericht positiv beschieden wird, während die mehrheitsfähigen und verfassungsrechtlich zwingenden Argumente der anderen drei Klägergruppen gegen den ESM und gegen eben diese Fiskalunion ungehört bleiben!

Noch sind dies natürlich nur Befürchtungen und böse Unterstellungen meinerseits - wenn auch gestützt auf viele Beobachtungen. Das Gebaren von „Mehr Demokratie e.V.“ war seit Jahren verdächtig (klare und vordergründig unverständliche Abgrenzung gegen andere Bürger-Bewegungen für Direkte Demokratie und für Referenden). Nun noch die Initiierung dieser unsäglichen Klageschrift der bis dato zu Referenden eher „inaktiven“ und ggü. der EU immer freundlichen ehemaligen Justizministerin Däubler-Gmelin (SPD). Dann noch die durchaus nicht abwegige mögliche Befangenheit des Richters und Berichterstatters Prof. Huber aufgrund seiner Kuratoriumstätigkeit bei „Mehr Demokratie e.V.“. Und vor allem die nun oben zitierten offen nachlesbaren Forderungen nach nur fragmentarischer und damit gesteuerter Volks-Abstimmung zu kleinen Teilen einer neuen Verfassung, die uns in den EU-Bundesstaat führen soll!

Ein wahres "Mehr" an Demokratie sähe anders aus! Im vorliegenden Fall ist die Begrifflichkeit „Mehr Demokratie e.V.“ fast schon zynisch: Alle basisdemokratischen Umfragen, alle Volksabstimmungen und Referenden zu Lissabon und in Deutschland garantiert auch zum Transfer-Euro und zur neuen Monarchie des ESM-Gouverneursrats erbrachten entweder Mehrheiten gegen die EUlitären Vorhaben oder sie wurden wohlweislich gar nicht erst zugelassen ! Und die oben zitierte Formulierung in der Klageschrift läuft eben nicht auf eine zwingende Volksabstimmung zu all diesen Themen hinaus – sondern es wird expressis verbis und mundgerecht für den BVerfG-Senat ausformuliert, dass und welche „kleine Verfassungsänderung“ zur Heilung der ESM-Problematik und sogar zur Rechtfertigung der Fiskalunion völlig ausreichen würde – und dass dann wohl auch nur über diesen Teil das Volk abstimmen müsse (dürfe…)! Wussten die 12.000 Unterstützer dieser Klage das? Nein – vermutlich 95% davon konnten diese Falle per Etikettenschwindel nicht durchschauen – denn fast niemand hat sie darüber aufgeklärt und Warnungen schafften es nie in die Massenmedien. Eine andere Klägergruppe meinte neulich zurecht, man halte es für unseriös, Unterstützungs-Unterschriften für eine Klage zu sammeln, bevor deren Formulierungen überhaupt öffentlich seien…

Ich habe persönlich den Vorstand von „Mehr Demokratie e.V.“ vor etwa sechs Wochen gefragt, warum man eigentlich überhaupt auf neue Verfassungs-Bestimmungen zum Bundesstaat EU und zur Haftungsunion dränge bzw. diese nun einklagen wolle, wenn doch schon seit dem 30.6.2009 vom BVerfG selbst diese Fragen eineindeutig geklärt seien?! Und zwar durch ein glasklares „Nein“ zum Bundesstaat und einem ebenso klaren „Nein“ zu jeder Kompetenzübertragung in Budgetfragen nach Brüssel! Das ist bereits seit drei Jahren geltendes Verfassungsrecht – und natürlich auch mehrheitsfähig bei der o.g. „pouvoir constituant“ des deutschen Volkes! Es hätte „Mehr Demokratie e.V.“ bzw. Däubler-Gmelin bzw. „Volksentscheid, sonst klagen wir!” gut angestanden, dieses geltende Verfassungsrecht und diese klaren und endgültigen Regeln in der Klageschrift ausführlich zu zitieren – wie es damals im Juni 2009 etwa die FAZ getan hat:

„Weckruf aus Karlsruhe. Lissabon-Urteil: Bis hierhin und nicht weiter. ... Über Einnahmen und Ausgaben muss ... weiterhin in Deutschland entschieden werden. Ein Kernbestand an Aufgaben und Strukturen bleibt unveräußerlicher Teil der Souveränität. ... Der Vertrag von Lissabon begründet gerade keinen europäischen Bundesstaat. Im Übrigen gäbe es dafür wohl in kaum einem EU-Staat eine Mehrheit.“

=> Damit hätten sich aber aus offensichtlich höchst EUrophiler und volksferner Sicht von „Mehr Demokratie e.V.” dummerweise die so schön als „Prozessverbesserungs-Klage“ getarnten Forderungen nach Fiskalunion etc. direkt als mehrheitslos erledigt! Dies erklärt wohl, warum auch und gerade die nun eingereichte Klageschrift keine Antworten auf meine obige Frage geben kann…

Alle Leser und die Medien muss man darum auffordern, sich am 10.7. und in den Wochen danach mit den Inhalten der Klageschriften von Gauweiler sowie Schachtschneider&Co sowie Reusing zu beschäftigen. Darin stecken [jenseits einiger natürlich auch relevanter Prozessfehler im Bundestag] die wirklich wichtigen, richtigen und zugleich mehrheitsfähigen Ablehnungsgründe gegen ESM und Fiskalunion. :!:

Zur enormen Bedeutung der Einstweiligen Anordnung sei nur ein Absatz aus dem Schriftsatz von Gauweiler bzw. seines Prozessbevollmächtigten Murswiek zitiert:

„Wenn die beantragte einstweilige Anordnung [auf Aussetzung ESM bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren, Anm. PB] nicht ergeht, kann der Bundespräsident den ESM-Vertrag ratifizieren. Damit wird der ESM-Vertrag für Deutschland völkerrechtlich verbindlich. Kommt das Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren zu dem Ergebnis, dass das Zustimmungsgesetz verfassungswidrig ist, hat Deutschland keine Möglichkeit mehr, sich aus dem Vertrag zu lösen. Der Vertrag ist auf unbestimmte Dauer, also für ewige Zeiten, abgeschlossen worden. Eine Kündigungsmöglichkeit ist im Vertrag nicht vorgesehen. Es gibt auch keine andere völkerrechtlich zulässige Möglichkeit, die vertragliche Bindung einseitig aufzulösen. … Die Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung führt also zu einer irreversiblen Bindung an einen verfassungswidrigen Vertrag.“

Soweit Gauweiler/Murswiek. Sowohl die dringenden Argumente für eine Stattgabe der Einstweiligen Verfügung wie auch Gauweilers/Schachtschneiders/Reusings Dutzende von Gründen gegen den ESM-Vertrag selbst sind absolut zwingend!

Der deutsche Manager Thorsten Kraemer fasst die Bedeutung des anstehenden Verfahrens und die Folgen einer ESM-Transfer-EU in folgende drastische Worte, denen ich mich leider voll und ganz anschließen muss [Abdruck mit Genehmigung]:

„Hier eine schöne chronologische Aufarbeitung des Entstehens des Euro als Moral Hazard-Union und als Vorbereitungsstruktur für die EUdSSR: ARD-Video-Link.

Und in einigen Jahren kommt dann die Reportage, welch' noch viel GRÖSSERER Betrug via EZB, EFSF und ESM stattgefunden hat, indem mehrere Billionen Euro veruntreut wurden, nur um das Scheitern des Euro-Experiments erst etwas später eingestehen zu müssen.

Heute haben wir mit Slowenien das sechste Land, das Geld vom 'Rettungsschirm' benötigt. Vor zwei Jahren haben uns die Berufslügner in Berlin, Luxemburg und Brüssel erzählt, Griechenland sei eine Ausnahme, der Rettungsschirm nur vorübergehend, bis Griechenland sich wieder selbst finanzieren könne und von einer Euro-Krise könne keine Rede sein ...

Seit dem Staatsstreich vom 29. Juni 2012 leben die Deutschen nun in einer ESM-Diktatur, deren Herrschaftsstruktur ähnlich derjenigen der früheren Sowjetunion ausgestaltet ist. Den Euro wird damit wahrscheinlich das gleiche Schicksal teilen wie einst die Rubelzone. Am Ende ist auch Rußland als deren Kernland pleite gegangen.

Nächste Woche hat das Bundesverfassungsgericht die Chance, diesen Staatsstreich in letzter Sekunde zu stoppen. Das ist wahrscheinlich die letzte Hürde vor der totalen wirtschaftlichen Verwüstung, die aufgrund der erklärtermaßen eigenen ökonomischen Umnachtung qua Negierung der zutiefst ökonomischen Funktion der Verfassung durch das Gericht selbst aber wohl genommen werden wird (‚Wir prüfen rein juristisch; eine ökonomische Bewertung ist nicht Gegenstand der Verfassungs-Beschwerdeverfahren‘). Die Volkszertreter im Parlament und die Wahnsinnigen in der Regierung haben dann gemeinsam zum dritten Mal innerhalb von hundert Jahren ganze Arbeit geleistet.

Damit wäre der Zyklus von der Demokratie über die Entmachtung des Parlaments durch eine Parteienoligarchie von Kanzlerwahlvereinen kollektiven Eurowahns zurück zur Diktatur wirtschaftlich bereits weitgehend vollzogen. Die wegbrechende wirtschaftliche Basis wird dann früher oder später auch den formalen politischen Vollzug dieser Transformation erzwingen, weil anderweitig keine Ordnung in das entstandene Chaos zu bringen sein dürfte, und die in der Bevölkerung aufkeimende Sehnsucht nach Autorität und Führung selbst zur Treiberin für die Abschaffung der Demokratie sein wird.“

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Nachsatz: Zur Absurdität der von Merkel in Brüssel inzwischen auch noch zugestandenen „Bankenunion“ schreibt Andre Doerk vom Global Power Trader in ebenfalls drastischen aber wahren Worten:

Werden die auf dem letzten EU-Gipfel verabschiedeten Beschlüsse [zur Banken-Transfer- und Bailout-Union per ESM] tatsächlich auch so eins zu eins umgesetzt, wachen wir am Tag danach in einer neuen Welt auf. Denn in der EU wird dann nichts mehr sein wie vorher. Die Kurszuwächse insbesondere südeuropäischer Bankaktien am Freitag haben eindeutig gezeigt, wer die wahren Sieger des letzten EU-Gipfels sind. Nun sollen also nicht nur Staaten, sondern auch private(!) Banken direkt vom Rettungsschirm ESM rekapitalisiert werden können. Natürlich nur gegen 'angemessene Auflagen'. Dass diese Bürgschaft der Steuerzahler mit der ehemaligen deutschen Gewährträgerhaftung für öffentlich-rechtliche Banken nahezu komplett identisch ist, scheint Ironie des Schicksals zu sein. Immerhin wird die WestLB derzeit – von der EU angeordnet – genau deshalb zerschlagen, weil sie extrem riskante Geschäfte wegen der staatlichen Gewährträgerhaftung eingegangen ist. Welche europäische Bank soll denn morgen noch vor mehr Risiko zurückschrecken, wenn sie im Falle eines Misserfolges lediglich den Weg zum ESM in Kauf nehmen muss? Was also von der EU in Deutschland (zu Recht) nicht gewollt wurde, wird jetzt durch die Hintertür für ganz Europa wieder eingeführt!