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Pflanzen: die klugen, wehrhaften Strategen

von Hans Jörg Müllenmeister02.02.15 10:34:05

Furore machen pflanzliche Nahrungsmittel durch ihre innewohnenden Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe. Seit neulich gelten weitere Inhaltsstoffe als gesundheitsfördernd: so genannte Phytostoffe oder Sekundäre Pflanzenstoffe. Reden wir einmal darüber.
Mit einem anderen merkwürdigen Phänomen befasst sich das junge, interdisziplinäre Forschungsgebiet der Pflanzen-Neurobiologie. Langsam entschlüsseln die Biologen die

Geheimsprache der Pflanzen. Spannend ist, wie Pflanzen Umweltreize wahrnehmen und wie sie darauf reagieren. Galt doch das Phänomen der Verständigung zwischen den Pflanzen bis in die siebziger Jahre als ausgemachter esoterischer Humbug.

Winzige Helferarmeen der Pflanzen im Dienste der Menschen

Pflanzen verfügen über Eigenschaften, die ihnen ein erfolgreiches Überleben seit Millionen von Jahren ermöglicht. Bisher entdeckte man in essbaren Pflanzen mehr als etwa 10.000 verschiedene Sekundäre Pflanzenstoffe. In jeder Gemüseart findet sich ein anderes fein abgestimmtes Arsenal dieser bioaktiven Helfer. Ihre Funktionen sind unterschiedlich. Einige regeln das Wachstum der Pflanze oder dienen als Farb- und Duftstoffe. Andere schützen die Pflanzen vor Schädlingen, Bakterien oder Pilzen. Auch im menschlichen Körper verstärken Sekundäre Pflanzenstoffe den Schutz vor Krankheiten.

Reizimpulse hangeln sich von Blatt zu Blatt

Die „grünen Bauchredner“ kommunizieren zweisprachig, sie verarbeiten Signale sowohl auf elektrischer als auch auf molekularer Ebene. Spannend und faszinierend zugleich: Tomatenpflanzen schreien vor Schmerzen auf chemisch-duftende Art, also olfaktorisch; Bohnen führen Selbstgespräche, Tabakpflänzchen rufen um Hilfe.
Wie vernetzte Botschaften in der Pflanze − elektrisch wie chemisch − miteinander reagieren, liegt noch weitgehend im Dunklen. Fest steht, Pflanzen reagieren sofort auf jede Art von Kälte, Wind, Trockenheit, Parasiten, Sonnenlicht oder Verwundung. Die Forscher stießen dabei auf eine neue Art der elektrischen Reizleitung; sie nennen es „systemisches Potential“, wenn ein verwundetes Pflanzengewebe ein elektrisches Signal auslöst und die Information von Blatt zu Blatt weiterreicht wie mit einer Eimerkette. Dieses systemische Potential ist nicht vergleichbar mit dem klassischen Aktionspotential, so wie es in tierischen Nervenzellen vorkommt. Nicht der Ionentransport über Zellmembranen − wie bei Tieren −, sondern das Aktivieren so genannter Protonen-Pumpen verursacht die Potentialänderungen, die sich vom Blatt über den Spross bis zum nächsten Blatt fortpflanzen.

Ganz schön raffiniert

Pflanzen sind bemerkenswerte Kreaturen. Sie stellen Fallen, beherbergen z.B. eigene Ameisenarmeen, vergiften ihre Feinde oder lassen sie radikal beseitigen. Ein Parasiten-Beispiel: der Teufelszwirn. Er überwuchert Tomatensträucher und zieht seine teuflischen Fäden, bildet Blüten und Samenkapseln. Alles, was er dazu braucht, entzieht er dem Tomatenstängel. Er bohrt ihn an und saugt ihn aus. Ohne seinen Wirt, die Tomate, wäre er nicht lebensfähig. Aber wie findet so ein Teufelszwirn als Keimling seine erste Wirts-Tomate? Er orientiert sich am Tomatengeruch.

Einer der „ambivalenten“ Kampfstoffe

Eigentlich sind Sekundäre Pflanzenstoffe für das Überleben (Photosynthese und Stoffwechsel) der Pflanze nicht notwendig, sie sind aber im Ökosystem und in Konkurrenz mit anderen für die Pflanze mehr als ein bloßes Zubrot. Schließlich haben die Pflanzen Hunderte von Millionen Jahre an der Entwicklung laboriert. Greifen wir die Milchsäfte heraus, etwa Schöllkraut, Wolfsmilch und Löwenzahn. Oft vereinen sie chemische und mechanische Abwehr: Zusätzlich zu einer eventuellen Giftwirkung verklebt die hochviskose Flüssigkeit die Mundwerkzeuge von Insekten. Den Saft des Schöllkrauts macht sich übrigens der Mensch wegen seiner antibiotischen Inhaltsstoffe schon lange zur Behandlung von Warzen zu Nutze.

Bitterstoffe − die natürlichen Verdauungshelfer

Andere Substanzen, die häufig der chemischen Abwehr dienen, sind Bitterstoffe. Vor allem der Löwenzahn (Tipp: bereiten Sie sich einmal einen Löwenzahn-Smoothie) ist wegen seines hohen Bitterstoffgehalts eine bedeutsame Heilpflanze. Bitterstoffe fördern den Verdauungsprozess und beeinflussen alle anderen Körperfunktionen positiv. Denn nur mit gesunder Verdauung können Nähr- und Vitalstoffe perfekt absorbiert und die einzelnen Zellen optimal versorgt werden.
Ursprünglich ernährte sich der Menschen von einer Vielzahl bitterstoffhaltiger Wurzelgemüse, Blattgemüse und Wildpflanzen. Inzwischen hat die Lebensmittelindustrie den Geschmackssinn des modernen Menschen umprogrammiert und mit „Lockstoffen“, den Geschmacksverstärkern, fehlgeprägt. Man züchtete z.B. bei Chicoree, Endiviensalat oder Radicchio die natürliche Bitternis weg. So entgehen uns höchst wichtige Schutz- und Heilstoffe. Bitterstoffe regeln aber die Verdauung in vielfältiger Weise. Sie entfalten ihre Wirkung bereits dann, wenn sie unsere Zunge berühren. Ihr bitterer Geschmack stimuliert nicht nur den Magen, sondern auch Leber, Gallenblase und Bauchspeicheldrüse. Diese Organe beginnen darauf mit der Sekretion lebensnotwendiger Verdauungssäfte und -enzyme. Vor allem bekämpfen Bitterstoffe Heisshungerattacken auf Süsses. Wichtiger Tipp: Isst man bei Lust auf Süsses Bitterstoffe statt Zuckerwerk, vergeht der Zuckerhunger!

Eine intelligente Abwehrwaffe gegen Krebs

Als Abwehrwaffe gegen krebserregende Verbindungen produziert unser Körper Enzyme, die aktivierte Karzinogene wieder lahmlegen. Sekundäre Pflanzenstoffe wie Glucosinolate, Monoterpene, Sulfide und Polyphenole können diese Entgiftungsenzyme anregen. Andere Sekundäre Pflanzenstoffe greifen in die eigentliche Krebsentstehung ein, indem sie sich an die bereits aktivierten Karzinogene binden und sie so ausschalten. Außerdem können sich Carotinoide, Polyphenole und Flavonoide an die DNS im Zellkern anlagern, an die sonst Karzinogene gebunden würden. Hierdurch schützen sie die Erbinformation vor Veränderungen und greifen damit in die Krebsentstehung ein.

Farbige Sekundärstoffe: die wehrhaften Carotinoide

Allein 600 verschiedene bioaktive Substanzen gehören zur Gruppe der Carotinoide. Das bekannteste ist das Beta-Carotin, dem man eine Krebs-vorbeugende Wirkung zuschreibt. Carotinoide sind die Farbstoffe in rot- und gelbfarbigen Gemüsen: Möhren, rote Paprika, Kürbisse und Tomaten. Besonders reichhaltig sind sie aber auch in Grüngemüsen zu finden, zum Beispiel in Grünkohl, Wirsing, Spinat und Feldsalat. Hier hat das grüne Chlorophyll die orange-rote Farbe „übertüncht“.
Lutein und Zeaxanthin, die auch zur Gruppe der Carotinoide zählen, sind herausragend für den Schutz der zentralen Netzhaut (Makula Lutea). Das ist die Stelle des schärfsten Sehens auf der Netzhaut. Diese Stoffe sind selbst Bestandteile der Makula. Sie schützen die Netzhaut vor schädlichen UV-Strahlen und freien Radikalen; sie erhalten die Sehkraft und wirken der altersbedingten Makuladegeneration entgegen. Bei dieser Erkrankung geht die Fähigkeit, scharf zu sehen, zunehmend verloren. Für gesunde Augen spielen also neben Vitamin A ganz besonders auch Lutein und Zeaxanthin eine Rolle.

Die Flavonoide − die perfekten Schutzschilder

Flavonoide der Pflanzen verstärken signifikant die antioxidative Kapazität: bis zu hundert Mal mehr als die Vitamine C und E sowie Beta-Carotine. Sie können freie Radikale und aggressive Sauerstoffverbindungen im Körper unschädlich machen und so dem Krebs vorbeugen. Außerdem gibt es Hinweise aus Studien, dass sie vor Herzinfarkt schützen, Krankheitskeime abtöten und das Immunsystem stärken. Typisch für flavonoidreiche Pflanzen sind die kräftigen roten Farben, wie man sie von Rote Bete, Rotkohl und Auberginen kennt.

Sulfide − die Arterienputzkolonne

Sulfide verleihen Knoblauch, Zwiebeln, Porree und Schnittlauch ihren typisch scharfen Geschmack. Sie fördern die Verdauung und können vor Magen- und Dickdarmkrebs schützen. Zusätzlich beugen sie Cholesterinablagerungen in den Arterien vor.

Glucosinolate − die Entgifter

Sie sind in allen Kohlarten, in Kresse, Radieschen und Rettich enthalten. Bedeutend für die Krebsabwehr, regen sie die körpereigene Entgiftung an, hemmen das Wachstum von Mikroorganismen und mindern das Risiko der Entstehung von Magengeschwüren.

Strategische Duftabwehr

Bisher entdeckte man an die Tausend verschiedene „Duftvokabeln“. Selbst Nutzpflanzen wie der Mais zücken duftende Giftspritzen, wenn Käferlarven sie verkosten. Sie locken mit Hilfe von Duftstoffen sogar die Feinde ihrer Feinde an. Diesen Abwehrstoff gibt die Maispflanze auch an ihre Nachbarn ab; sie erschnüffeln das Gas und werfen vorsorglich die eigene Giftproduktion an.

Wahre Sprachgenies unter den Pflanzen

Pflanzen können etwas, was man bisher nur Menschen und einigen Tieren zuschreibt: sie kommunizieren. Ihre „grüne Sprache“ basiert auf Duftstoffen, die sich über die Luft verbreiten. Wird eine Pflanze verletzt, etwa durch ein an ihr fressendes Tier, stößt sie „Duftwarnlaute“ aus. Benachbartes Gewächs „hört“ diese Duftstoffe, es wird dadurch vor einer potenziellen Bedrohung gewarnt und kann vorbeugend Abwehrgifte produzieren. Schon über 1000 verschiedene „Duftvokabeln“ wurden bisher entdeckt, und wahrscheinlich sind es weit mehr.

Von wegen „dumm wie Bohnenstroh“. Ein polyglottes „Sprachtalent“ im Pflanzenreich ist die Limabohne. Diese Nutzpflanze erkennt an den Bissspuren und am Speichel das an ihr nagende Insekt und lockt daraufhin gezielt dessen Fressfeinde an. Je nach chemischer Zusammensetzung und Menge des Abwehrstoffs „ruft“ sie unterschiedliche Helfer: Raubmilben bei Spinnmilbenbefall oder Schlupfwespen bei Raupenangriffen. Ein erstaunlich differenziertes Vorgehen.

Orchideen-Täuscher, Lug und Trug beim Minnedienst

Was aber zahlen Pflanzen den Verbündeten für ihre Leistung? Sie produzieren z.B. nahrhafte Früchte. Überhaupt spielt das Nahrungsangebot beim Anlocken der Insekten eine wichtige Rolle. Gelegentlich täuschen die Pflanzen ihren „Judaslohn“ auch nur vor. Ganz raffiniert geht da eine bestimmte Orchidee vor, eine europäische Ragwurz-Art. Sie produziert Formen, Farben und Düfte, die ein Insektenmännchen glauben lässt, es hätte ein liebestolles Weibchen vor sich. Mit der Pseudo-Kopulation bestäubt das gehörnte Männchen die Orchidee.

Eine andere Orchidee, nämlich Dendrobium sinense provoziert das Jagdverhalten und den Angriff der Hornisse, um sie unfreiwillig als Pollentransporteur einzusetzen. Die Orchideenblüte produziert eine Reihe von gasförmigen Substanzen, darunter den Stoff Eicosenol; er ist Bestandteil des Alarm-Pheromons der Honigbienen – „Fremdsprachen“ sollte man eben können! Dieser Stoff dient, wenn Gefahr droht, als S.O.S.-Duftsignal den Bienen untereinander. Die feindliche Hornisse nimmt das Eicosenol wahr, macht sich auf die Suche nach der vermeintlichen Honigbienen-Beute, landet aber stattdessen kopfüber in der Orchideenblüte.

Pflanzen fühlen feinste Berührung

Sanftes Streicheln mit einer Baumwollfaser genügt, damit ein Sonnenblumenkeimling beim Wachsen seine Richtung ändert. Die „Prinzessin auf der Erbse“ ist aber die Rotbeerige Zaunrübe, eine Kletterpflanze. Sie ist so empfindlich, dass sie einen Faden spürt, der weniger als ein Millionstel Gramm wiegt. Das übersteigt bei weitem das Empfindungsvermögen der Tiere und Menschen. Auch UV-Licht registrieren Pflanzen. Wenn es ihnen zu viel ist, bilden sie Pigmente, die wie ein Sonnenschutz wirken (s. Artikel „Astaxanthin – ein genialer Naturwirkstoff“). Und stellt eine Pflanze eine Virusinfektion an sich fest, produziert sie Salizylsäure und stärkt so ihre Abwehrkräfte.

Der Todesimpuls einer Erbse

Im Moment des Todes einer Pflanze tritt eine intensive Erregung ein: Es kommt zu einer elektrischen Entladung im Pflanzengewebe. Elektroingenieure unter den Lesern könnten dazu ein verblüffendes Experiment machen. Teilen Sie eine frische grüne Erbse vorsichtig und verbinden Sie ihre innere und äußere Fläche über einen feinen Draht mit einem empfindlichen Spannungsmesser. Die „Halb-Erbse“ bringen Sie in ein Wasserbad, das Sie langsam erwärmen. Beim Todespunkt von 60°C geht ein intensiver elektrischer Impuls durch den Organismus. Dieser erreicht beim Tod oft bis zu 0,5 Volt. Sind hunderte Paare von Halb-Erbsen auf einem isolierten Draht im Bad in Reihe geschaltet, könnte diese „Halberbsenbatterie“ an den Enden einen elektrischen Impuls von mehreren Hundert Volt abgeben.

Pflanzen-Internet unter Tag

Pflanzen verständigen sich nicht nur oberirdisch. Auch unter der Erde gibt es einen regen Austausch. Dafür sorgt ein gigantisches, dynamisches Wurzelnetz. Beim Informationsaustausch spielen Pilze eine symbiotische Rolle: Sie schaffen den Wurzeln Nährstoffe heran und die Pflanze gibt ihrerseits an sie Zucker ab. Die Pilzfäden dringen in die Wurzelzellen ein, verwachsen mit ihnen und verbinden die Wurzeln untereinander. Den Informationsaustausch ermöglichen lösliche Botenstoffe im Wasser, die von den Wurzeln wie eine Nachricht gelesen werden, z.B. nähern sich schädliche Bakterien oder Tiere? Wertvolle Informationen, die die Wurzel braucht, um Hilfe zu holen, Abwehrsysteme zu aktivieren oder ihr Wachstum flexibel auf neue Situationen einzustellen. Damit können Pflanzen ihre Zukunft planen. Auch das gehört zu ihrer ureigenen „grünen Intelligenz“.

Vielleicht sollten wir alle von unserem hohen „Evolutionsross“ absteigen und uns gegenüber den erdverbundenen, „stummen“ Kreaturen dankbar erweisen; der sprichwörtlich grüne Daumen genügt da nicht. Im übrigen haben wir die komplexe Chemie der Sekundären Pflanzenstoffe nicht annähernd erforscht. Erschreckend ist, wie der Mensch als zweibeiniger Zellhaufen – ein Planeten-Spätbesiedler aus rund 10 hoch 23 Atomen – mit den grünen Kreaturen umspringt, den Lebewesen mit jahrmillionenlanger Evolutionserfahrung. Dreist reißt das Zweibein die grüne Weltlunge aus Profitgier mit Stumpf und Stiel aus. Wie dumm muss der Homo sapiens sein, wenn er sich seiner eigenen Lebensgrundlage rigoros beraubt?

© Hans-Jörg Müllenmeister