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Arbeitslosigkeit und angewandte Pädagogik

von Wolfgang Prabel E-Mail 14.01.14 04:35:41

"Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen", sagte Gas-Gerd Schröder am 14. März 2003 im Bundestag bei der Einbringung der Hartz-Gesetze.

Wenn es denn was gebracht hätte. Der Erfolg heiligt ja manchmal die Mittel. Es wäre schon ein Wunder, wenn die Ideen der schillernden Figur Peter Hartz zu einem optimalen Ergebnis geführt hätten. Die Reformen werden heute allenfalls als Teilerfolg bewertet.

Man muß nur mal an die Personal-Service-Agenturen (PSA) erinnern. Sie sollten nach der SPIEGEL-Berichterstattung vor der Bundestagswahl 2002 mehrere Millionen Arbeitslose beschäftigen, aktivieren und vermitteln. Schon nach ganz kurzer Zeit wurde dieses Kernstück der Vermittlung 2004 ersatzlos aufgegeben. Wegen Erfolglosigkeit. Kein Mensch spricht mehr über diesen Totalausfall.

Genauso wenig wie über Riester´s Job-AQTIV-Gesetz von 2001, welches bundesweit etwa 300 mal seine Wohltaten entfalten konnte, aber eben nicht öfter.

Es gab 2013 4,42 Mio Bezieher von Arbeitslosengeld II und 1,7 Mio Bezieher von Sozialgeld. Das letztere sind in der Regel die Kinder. Der Regelsatz Hartz IV betrug 382 €.
Was kosten die eigentlichen Leistungen? 382 € x 4,42 Mio Leistungsempfänger x 12 Monate = 20,3 Mrd. €. In Wirklichkeit ist es weniger, weil fast 2 Millionen Aufstocker in der Zahl von 4,42 Mio Hartzern enthalten sind.
Sozialgeld: Wenn man den Regelbedarf im Durchschnitt mit 260 € annimmt, kommt man auf folgenden Aufwand: 260 € x 1,7 Mio Empfänger x 12 Monate = 5,3 Mrd €
Zusammen ist das ein Erlös für die Empfänger von 25,6 Mrd. €.

Für Hartz IV werden insgesamt aber 50 Mrd. ausgegeben. Davon kostet die zentralstaatliche Hartz-Bürokratie in den sogenannten Arbeitsagenturen und Jobcentern etwa 4,5 bis 5 Mrd. €. Was die Armutsverwaltungsíndustrie bekommt, kann man aus der Differenz errechnen:
50 minus 25,6 minus 5 = 19,4 Mrd. €. Das entspricht in der Größenordnung dem Ertrag der Versicherungssteuer und der Stromsteuer in Deutschland. Wenn das die Kommunen zusammen mit der Verantwortung für die Hartzer bekommen würden, könnte man damit Berge versetzen. So wie es derzeit gehandhabt wird, versackert es unter anderem in gemeinnützigen GmbH´s. Diese müßten eigentlich unnützige GmbH´s heißen, soweit sie sich um Weiterbildung kümmern und Kurse zum Ausfüllen von Bewerbungsunterlagen veranstalten. In meiner Nähe gibt es so einen Armutsverwalter: „Institut für angewandte Pädagogik“ heißt das Teil (ich bin in der Schule noch wöchentlich vom Musiklehrer an den Haaren gezogen, verprügelt oder in die Ecke gestellt worden und muß deshalb über den Terminus „angewandte Pädagogik“ immer in mich reinlächeln).

Vor Ort weiß die Kommune viel besser, was die ansässigen Hartzer leisten können – und was nicht. Bis 1918 war die Armenpflege, wie man das damals nannte, ausschließlich in der Hand der Kommunen. Die durchschnittliche Arbeitslosenrate vor 1918 lag bei 2 bis 3 %. Danach unter Zentralverwaltung der Arbeit stieg die Arbeitslosigkeit unverzüglich und wurde ein Massenphänomen. In der gesamten Zeit der Weimarer Republik mit ihren antidemokratischen Zentralisierungsphantasien und ihrer planwirtschaftlichen Zwangspraxis sank die Arbeitslosenrate nie unter 5 %, in der Spitze wurden rekordverdächtige 30 % erreicht.

Hitler beseitigte die Arbeitslosigkeit erfolgreich mit Beschäftigungsprogrammen, Reichsarbeitsdienst, Einzug in die Wehrmacht und kreditfinanzierte Aufrüstung. Durch die massive Propaganda der Nationalsozialisten hat sich in Deutschland bis heute die Meinung verfestigt, daß nur der Zentralstaat Arbeit erfolgreich bereitstellen kann. Das Dumme ist nur, daß das nicht stimmt, wie die Geschichte der Arbeitsverwaltung in Deutschland beweist. Ich würde gerne mal das Geschrei hören, was sich heute erheben würde, wenn die Arbeitslosen zum Arbeitsdienst eingezogen werden würden. Oder wenn sie für 550 Ostmark ab halb sieben in irgendeinem Betrieb zum Hofkehren eingesetzt würden, wie in der Russenzeit im Osten. Das geht nur in gut geölten Diktaturen – bis diese zusammenbrechen.

Wie soll ein zentrales Amt, das 20 km vom Arbeitslosen entfernt ist, wissen was vor Ort los ist. Das Amt weiß nicht, ob der Hartzer gesund ist, wann er aufsteht, wem er aus der Nachbarschaft hilft, womit er heizt, ob er Rauschgift oder Alkohol nimmt, was er für handwerkliche Fähigkeiten hat, welche Freunde mit ihm feiern, ob er selber kocht, ob er zum Arbeiten mitgenommen wird und wie lange die Motivation anhält, wenn er etwas tut. Alles das wissen seine Nachbarn und die Gemeinde genau. Und nur wer die Diagnose hat, kann therapieren. Wenn die Arbeitsagentur etwas verbessert, dann ist es Zufall oder der Betroffene hilft sich selbst.

Nach fast 100 Jahren staatlicher Mißwirtschaft auf dem sogenannten Arbeitsmarkt wird es Zeit, daß die Arbeitslosigkeit wieder in den Städten und Gemeinden vor Ort bekämpft wird. Der Bundesstaat hat dabei eigentlich nichts zu melden.

Um das zu finanzieren, müßten die Einkommenssteuern wieder von der Kommune erhoben und vereinnahmt werden, wie vor 1918. Nur eine Staatsordnung, die sich von Unten nach Oben organisiert ist kein Obrigkeitsstaat. Da sind wir schon bei einem weiteren Thema…

Der Autor betreibt Prabels Blog und hat weitere Hartz-kritische Einträge verfaßt.

9 Kommentare

Kommentar from: Rakang Siang [Besucher]
***--
Dafür werden ja alle lückenlos bis in jede Kleinigkeit überwacht und demnächst vielleicht noch die Kosten dafür mit den Rundfunkgebühren abgerechnet.

Das hat zur Folge, dass man Banken, Politiker und Lobby unbegrenzt treiben lassen kann, was sie will.

Investitionen hätten ja bei den tiefen Einkommen der Bevölkerung sowieso keinen Sinn und wo nur geringes Einkommen vorliegt muss es weiter zusammengestrichen werden.

Wir werden die Blasen schon klein kriegen, bis absolut nichts mehr da ist und das ist der Himmel.
14.01.14 @ 06:18
Kommentar from: T. Höhne [Besucher]
Hallo Herr Prabel,
vielleicht habe ich in Ihren Berechnungen etwas überlesen, aber mich wundert, dass Sie die Kosten der Miete, Nebenkosten, Krankenkasse etc. von HartzIV-Beziehern nicht mit berücksichtigt haben. Diese Beträge dürften ja auch nicht ganz unbeträchtlich sein ...
Mit freundlichen Grüssen
14.01.14 @ 17:40
Kommentar from: Bert [Besucher]
*****
Wenn ich ihre Rechnung richtig verstanden habe, könnte man ein BGE mit ca. 300 Euro angesetzt, kombiniert mit einer negativen Lohnsteuer (Finanzamt rechnet über Einkommensteuerbescheid ohne Mehraufwand ab) und die ganzen Apparatschiks ebenfalls auf BGE, auszahlen und es würde sogar noch etwas übrigbleiben.
14.01.14 @ 19:07
Kommentar from: Wolfgang Prabel [Mitglied] E-Mail
Lieber Herr Höhne, Sie sprechen da vor allem die Kosten für Unterkunft KdU an. Diese Leistungen kommen im wesentlichen von den Landkreisen. Mein Landkreis Weimarer Land zahlte 2012 etwa 11,7 Mio €. Bei 295 Landkreisen in Deutschland kommen also rund 3,5 Mrd. zusammen. Außerdem gibt es 107 kreisfreie Städte, die nochmal soviel zahlen, da Arbeitslose sich mehr in Städten konzentrieren. Die Hauptstadt Berlin ist ein gutes Beispiel dafür. Nichts geht in Deutschland ohne Mischfinanzierung. Ein Teil dieser KdU-Kosten, rund 2,5 Mrd. € übernimmt der Bund. Das ist etwa die Summe, die der Bund durch Eigenleistung der Hartzer (Stichwort Aufstockung) spart. Also im Prinzip ist ihre Frage sehr berechtigt, aber die Berechnung ist trotzdem ungefähr richtig.
Es wäre schön, wenn durch den Bund mal eine genaue Übersicht der Kosten erarbeitet und publiziert würde. Dann könnte ich mir den ganzen Eintrag sparen.
14.01.14 @ 19:12
Kommentar from: T. Höhne [Besucher]
Hallo Herr Prabel,
vielen Dank für die schnelle Aufklärung meiner Frage. An die Mischfinanzierung durch die Landkreise, Städte und den Bund hatte ich nicht gedacht.
Viele Grüsse und machen Sie mit Ihrer hervorragenden Arbeit weiter so!
14.01.14 @ 21:53
Kommentar from: Aufstocker [Besucher]
Hallo Herr Prabel,

die Zahlen sind in zwei Richtungen ungenau (zu hoch angesetzt):

- eine große Zahl von Kindern erhalten Kindesunterhalt, der zusammen mit dem Kindergeld nicht nur den Bedarf deckt (weil nach BGB höher als die Regelsätze) sondern noch auf den Bedarf der Erwachsenen (meist) Mütter umgerechnet wird. Mindestens die Hälfte (eher mehr, aber das ist ein der bestgehüteten Staatsbürokratie-Geheimnisse) des Sozialgeldes wird so eingespart und bei nichtverharzten (meist väterlichen) Zahlern "reingeholt". Die Mehrzahl der Kinder wird nur als "arm gezählt" weil die (meist mütterlichen) Elternteile in Hartz sind. Teile der sog. "Kinderarmut" sind daher wohl eine Medien-Fiktion.

- Ebenso wird der (Ehegatten-, etc.-)Unterhalt für Erwachsene in Ihrer Berechnung unterschätzt, der voll angerechnet wird und dem Staat große Summen spart. Immerhin leben tatsächlich mehr (arbeitslose?) Erwachsene von Unterhalt als von Hartz4.

- Eine immer größere Zahl von (voll arbeitenden!) Aufstockern sind nur wegen der Zahlungspflichten von (Kindes-) Unterhalt zum Aufstocker geworden. Berechnung: Differenz von (Einkommen - Unterhalt) zu Bedarf = Aufstockung. Normal- und Geringverdiener kommen so ganz schnell unter (kinder-)lebenslange Kontrolle dieser Behörde.
15.01.14 @ 01:20
Kommentar from: WTF ? [Besucher]
*****
Und ?
Freut ihr euch schon, viermal soviel für eure Ersparnisse zu arbeiten, nachdem ihr doppelt soviel dafür gearbeitet habt ?
Wohlgemerkt, nur um das gleiche nacher zu haben, wie bevor ihr angefangen habt doppelt soviel dafür zu arbeiten ?
Die Zeit, die euch erkauft wurde war nur dafür da, um zu der Erkenntnis zu kommen in was für ein Wahnsinn ihr lebt.
Ersparnisse können nicht im Währungssystem stattfinden !
Ersparnisse setzen ein Speichermedium vorraus für den Wert des Erarbeitetes !
Die Währung kann nicht Speichermedium sein und deshalb ist das Wort "Ersparnisse" in diesem Zusammenhang bedeutungslos !
Niemand kann euch diese garantieren !
Bewusst oder unbewusst würde sich dieser jemand zur Lügner outen.
Und das mit mathematischer Genauigkeit !
Und da wollte uns mal jemand geistig unbeschadet durch die Krise, die eine chronische ist, durchbringen... :-D :-D :-D
15.01.14 @ 10:40
Kommentar from: Bettinka [Besucher]
*****
Wenn man es mal ganz nüchtern betrachtet, ist es ja auch Quatsch, wenn sich einer ärgert, dass er keine Arbeit hat. Arbeit ist ja kein Selbstzweck. Geld auch nicht. Die Dinge, die man sich damit kaufen kann, sind der Zweck - Eigentlich. Heutzutage wird das oft so getrennt betrachtet. Was denjenigen Menschen fehlt, ist also gute Kleidung, genügend Essen, ein Dach über dem Kopf, ... . Und wenn man weiß, was einem nun genau fehlt, dann kann man sich rein theoretisch an die Umsetzung machen und schon hat man Arbeit - Nur dass das heutzutage alles etwas komplizierter ist. Ich finde aber, man sollte das wirklich mal im Zusammenhang betrachten. Arbeit wird einfach viel zu oft als Selbstzweck gesehen. Wir haben heutzutage so viele Maschinen, die die Arbeit für uns erledigen. Eigentlich müssten wir uns gemütlich zurücklehnen können und froh sein, dass wir die Arbeit nicht machen müssen. Statt dessen arbeiten sich manche trotzdem noch zu Tode und andere jammern rum, dass sie nichts zu tun haben und noch andere stopfen sich die Taschen mit so viel Geld voll, dass sie es nie im Leben ausgeben können. Da ist doch ein Fehler im System. Das macht doch so keinen Sinn. Und ich finde, wenn man über einen "Lebensstandard" spricht, den man sich leisten kann oder will, dann muss man in die Rechnung auch die eigene Freizeit mit einberechnen. Das macht einen erheblichen Teil der Lebensqualität aus und wenn man das mit einberechnet, dann erhöht sich bei mehr Arbeit irgendwann der "Lebensstandard" nicht mehr, sondern er sinkt - es kommt ganz auf die Balance an.
15.01.14 @ 15:01
Kommentar from: Tribunus plebis [Besucher]
*****
Ich finde, wir sollten unsere Arbeit mehr unter dem Gesichtspunkt von Bettinka sehen: Welche Bedürfnisse haben wir und welcher Arbeitsaufwand ist dafür notwendig.

Ich wohne derzeit in einem kleinen Dorf, das früher 50 Bauern hatte, heute aber dank der Maschinen nur noch 2. Warum müssen wir soviel arbeiten, wenn Maschinen heutzutage für uns produzieren, wie nie unsere Vorfahren hätten produzieren können?

Schopenhauer sagt, wir sollten unsere Bedürfnisse genau so kritisch dimensionieren, wie wir sie für unsere kurze Lebenszeit effektiv brauchen werden, weil wir sehr viel mehr vermeinen haben zu müssen, als wir tatsächlich brauchen.

Wir werden dazu erzogen, maximal zu arbeiten und dann anschließend darüber nachzudenken, was wir damit machen wollen. Dieser Gedankengang hat aber einen Haken.

Zunächst geht einmal von der Gesamtleistung 18,9 % für eine mehr als unsichere Rente drauf, inkl. des Arbeitgeberanteils, mindestens weitere 19% für Lohnsteuer. Und wenn Ersparnisse gebildet werden können, dann landen sie in einem Bankensystem, das die Ersparnisse gar nicht braucht, weil die Banken lieber zinslos sich bei der EZB versorgen.

Ich habe einen jungen Verwandten, der als Hagestolz sich mit Frauen nicht abgibt, weil sie ihm zu sehr stressen und problematisch sind als varium et mutabile semper femina.

Wenn er nicht für Frauen arbeiten will, aber auch kein Auto braucht wegen car sharing, sich nicht verschuldet und wenig braucht: Warum soll er nicht auch so gut über die Runden kommen sollen? Soll er für unseren Staatsleviathan schuften, für feministische Frauen oder eine Rentenhoffnung, die einer Wurst gleicht, die man einem Hund fest auf seinen Körper angebunden laufen läßt?
15.01.14 @ 18:32

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